Deutschstunde im Thalia-Theater Hamburg

Aufführung nach dem Roman von Siegfried Lenz

20017 Titel Fleyer

Komfortable Fahrten nach Hamburg

Wie sieht eine Welt aus, in der es keinen Halt mehr gibt? Auf der Bühne erscheint aus völliger Dunkelheit ein auf die Spitze gestellter, kubischer Raum. Standort der Personen an den Flächen, Aufstieg und Absturz ins bodenlose, bestimmen das Bild. Buchstäblich haltlos hängen Akteure an den schrägen Wänden, rutschen ab oder steigen auf.

Der Kunstmaler Max Ludwig Nansen ist in der deutsch-dänischen Landschaft Nordschleswigs mit Hausarrest und Malverbot belegt. Es geht um Polizeistaat und Polizist als Familienvater und Ehemann. Zum Ende des Krieges wird ländliches Leben mit seinen zeitlich und örtlich bedingten Problemen gezeigt. Der ehemals „nördlichste Polizeiposten Deutschlands“, an der Nordseeküste, will Wirkung zeigen.

Der Kunstmaler wird vom Dorfpolizisten überwacht. Der Junge, auf Seiten des Künstlers, untergräbt die Autorität des Vaters, verhindert Aufdeckung von Ungehorsam und versteckt illegal entstandene Kunstwerke vor polizeilichen Zugriff.

Folgen von Amtsanmaßung und Amtsausübung in Schule, Ehe, Familie und Kindheit spitzen sich zu. Dazwischen das alltägliche Leben mit dem Drang der Jungen zu Aufsässigkeit und Rebellion. Mutter und Geschwister sind in unlösbare Zustände verwickelt. Ein Gemälde wird entdeckt, das die Schwester nackt als Wellenreiterin zeigt. Bilder werden symbolisch zerrissen. Der ältere Bruder verstümmelt sich selbst, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Er muss unter Lebensgefahr untertauchen. Allumfassende Staatsgewalt bestimmt Regeln. Alles endet, als die Sieger, englische Soldaten, am Strand erscheinen, mit weiter reichenden, nicht minder verzwickten Folgen.

Landschaft, Grundsätze, Abhängigkeiten, Traditionen mit Gehorsam, in bürgerlicher Umgebung, ändern sich auch nach Kriegsende nicht. Das Geschrei mörderischer Möwen ist in unsichtbarer, nicht gemalter Landschaft, mit unsichtbarerem „roten Himmel“ zu hören. Der Nolde Himmel ist am Horizont von Wasser, Wind und Wellen bei menschlicher Unzulänglichkeit denkbar. Wo sind Auswege, Lösungen? Am Ende bleibt alles, wie es ist, grau.

Die Szenarien auf der Bühne werden im schrägen Raum dargestellt. Raum und Zeit sind begrenzt. Unersetzlich werden Worte des Dichters gesprochen. Auf dem Höhepunkt von Handlung bietet nur noch Klang, Gesang und Musik den Ausgleich. Mit viel Licht wird das Nichts der unsichtbaren Bilder des Malers sichtbar. Zu Beginn schreibt der Schüler einen unsichtbaren Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“. Er gibt ein leeres Blatt als unsichtbares Machwerk ab und wird bestraft. Er versteckt und rettet unwiederbringliche Bilder.

Das Bühnenbild mit unsteten, schrägen, keinen Halt bietenden Flächen, verdeutlicht die Unsicherheit der Zeit. Die mangelnde Standfestigkeit und das unterschiedliche Licht, von völliger Dunkelheit bis hin zur schmerzlichen, blendenden Weiße des Nichts, geben der Handlung den Rahmen. Eine unvergessliche Darbietung schließt, wie sie begonnen hat. Sie lässt den Betrachter am Ende mit seinen Gefühlen allein, im dunkeln. Eine großartige Aufführung.